Grenzen im Bereich der Bindungsstile verstehen und setzen

Grenzen sind im Bereich der Bindungstheorie ein riesiges Thema, denn die Schwierigkeiten beim Setzen von Grenzen werden häufig mit den verschiedenen Bindungsstilen in Verbindung gebracht. Die Frage ist allerdings, wie genau beeinflusst eine beispielsweise unsichere Bindung, wie wir Grenzen setzen und darauf reagieren?

Wie schwer es ist zu einem geliebten Menschen “Nein” zu sagen, das hat sicher jeder von uns schon einmal erlebt. Aber ist es nicht merkwürdig, dass die Menschen, die uns am nächsten stehen, diejenigen sind, mit denen wir die größten Schwierigkeiten haben, wenn es um das Thema Grenzen geht? Diese Schwierigkeiten, „Nein“ zu sagen, hat oft damit zu tun, wie wir in unseren Beziehungen Grenzen setzen.

Wir alle haben einzigartige Bedürfnisse und Grenzen und unsere Fähigkeit, diese zu verstehen bzw. auszudrücken, lässt sich durch unseren Bindungsstil besser verstehen.

In diesem Artikel erfährst du:

  • Was Grenzen sind
  • Wie Grenzüberschreitungen aussehen
  • Wie sich Grenzüberschreitung auf den Bindungsstil auswirken
  • Wichtige Schritte zum Umgang mit Grenzen

Was sind persönliche Grenzen?

Persönliche Grenzen sind im Grunde die unsichtbaren Linien, die wir für uns selbst ziehen, wenn es darum geht, welche Verhaltensweisen uns in der Nähe anderer guttun. Also was wir mögen und was nicht.

Grenzen in Beziehungen können körperlich und emotional sein.

Körperliche Grenzen werden in der Regel mit unserem Körper und dem Raum um uns herum in Verbindung gebracht. Zu den Verstößen gegen physische Grenzen gehören das Eindringen in den persönlichen Raum so zum Beispiel unerwünschte Berührungen. Aber auch die Privatsphäre ist eine physische Grenze. So würde jemand, der unsere Textnachrichten oder E-Mails liest, diese physische Grenze verletzen.

Im Gegensatz dazu betreffen emotionale Grenzen unsere Gefühle und Gedanken, so z.B. wenn wir nicht wollen, dass unsere Gefühle verletzt werden, oder dass wir das Gefühl haben, uns um die Gefühle anderer kümmern zu müssen, das aber eigentlich nicht wollen.

Da die emotionalen Grenzen weniger greifbar sind, kann es schwieriger sein, sie zu setzen. Während es relativ einfach ist, jemandem, den man nicht besonders gut kennt, in gewisser Weise auf Abstand zu halten, kann es schwieriger sein, das mit jemandem zu tun, der einem am Herzen liegt.

Da emotionale Grenzen unsichtbar sind, müssen wir sie normalerweise verbal (oder manchmal durch Körpersprache) setzen. Dies erfordert jedoch ein gewisses Maß an Konfrontation und Durchsetzungsvermögen, was für viele Menschen eine Herausforderung sein kann. Grenzen zu setzen, ist wichtig für eine ausgewogene und gesunde Beziehungen.

Während manche Menschen damit zufrieden sind, ihrem Partner ununterbrochen Nachrichten zu schreiben, empfinden andere das als zu aufdringlich, eventuell sogar als eine Grenzüberschreitung, die wahrscheinlich zu zwischenmenschlichen Problemen in einer Beziehung führen könnte.

Jeder Mensch hat seine eigenen Grenzen, und nicht immer sind diese für die Menschen in unserem Leben offensichtlich. Wenn wir jedoch selbstbewusst sind und unsere Grenzen auf gesunde Art und Weise zum Ausdruck bringen, können wir sichere Beziehungen aufbauen, in denen wir das Gefühl haben, dass unsere Bedürfnisse und Wünsche wichtig sind.

Wie sieht das Überschreiten von Grenzen in einer Beziehung aus?

Wir sind doch sicher alle schon mal jemandem begegnet, der gefühlt ohne Rücksicht auf andere durchs Leben geht. Diese Person scheint sich einfach nicht darum zu scheren, ob andere sich wohlfühlen oder nicht.

Es gibt zwei Hauptarten der Grenzüberschreitung in Beziehungen: Distanz und übergriffiges Verhalten. Der Grund dafür ist, dass Menschen in der Regel ein gesundes Gleichgewicht von Freiraum und Nähe in einer Partnerschaft brauchen, um sich verbunden und sicher zu fühlen.

Die Forschung hat gezeigt, dass vermeidende Bindungstypen viel leichter das Gefühl haben, dass ihre Grenzen verletzt werden, als Menschen mit anderen Bindungsstilen. Andererseits sind ängstliche Bindungstypen eher durch Distanz verletzt und dann diejenigen, die das Bedürfnis anderer nach Freiraum verletzen, indem sie übergriffig werden.

Die digitale Welt hat das Ziehen von Grenzen zusätzlich erschwert. Menschen mit ausgeprägter Bindungsangst (d. h. ängstliche Bindungstypen und desorganisierte Bindungstypen) neigen eher zu Dingen, wie dem unerlaubten Durchsuchen des Telefons des Partners, dem Überwachen seiner Aktivitäten in den sozialen Medien oder dem Aufspüren seiner Aufenthaltsorte über die sozialen Medien.

Darüber hinaus hat die Forschung gezeigt, dass Menschen mit ängstlicher oder desorganisierter Bindung soziale Medien nutzen können, um ihre Partner zu überwachen, selbst nachdem sie sich getrennt haben. Dieses indirekte Eindringen in die Grenzen kann besonders problematisch sein, weil es auf beiden Seiten keinen richtigen Abschluss der Beziehung zulässt. Das ist auch der Grund, warum nach einer Trennung generell dazu geraten wird, alle Verbindungen zu löschen, das gilt besonders für Social Media.

Die Auswirkungen von Grenzüberschreitungen auf die verschiedenen Bindungsstile

Wie bereits erwähnt, geht es bei Grenzen in erster Linie um Distanz und Nähe. In Kombination mit den vier Bindungsstilen, die durch z.B. durch Angst vor dem Verlassenwerden oder die Angst vor Intimität gekennzeichnet sind, entsteht einiges an Potenzial für Grenzüberschreitungen und jeder Bindungsstil hat andere Trigger und reagiert anders.

Desorganisierte Bindung und Grenzen

Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil die niedrigste Schwelle für das Eindringen in ihren persönlichen Raum haben. Das bedeutet, dass desorganisierte Bindungspersonen nur eine minimale Toleranz für körperliche Nähe zu anderen haben. Das gilt zwar auch für vermeidende Bindungstypen, aber nicht in demselben Ausmaß.

Diese Erkenntnis ergibt durchaus Sinn, wenn man bedenkt, dass der desorganisierte und der vermeidende Bindungsstil durch Angst vor Intimität und Zurückweisung gekennzeichnet sind.

Menschen mit diesen Bindungsstilen ziehen es also vor, Menschen wegzustoßen, bevor sie ihnen emotional zu nahe kommen.

Ängstliche Bindung und Grenzen

Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil haben ganz andere Maßstäbe für ihre Grenzen als Menschen mit vermeidender und desorganisierter Bindung.

Vermeidende Bindungstypen neigen dazu, die körperlichen und emotionalen Grenzen anderer Menschen zu verletzen, und reagieren dann ambivalent, wenn andere ihre Grenzen verletzen.

Wenn ein ängstlicher Bindungstyp während eines Streits oder anderen Konflikts das Gefühl hat, dass seine Grenzen verletzt wurden, neigt er zu verstärkten emotionalen Reaktionen wie Wut, Schmerz und Verwirrung. Aufgrund der Angst des ängstlichen Bindungstypen, verlassen zu werden, verzeiht er dem Partner das Überschreiten seiner Grenzen aber auch deutlich schneller. Oft wird das Hinnehmen dieser Grenzüberschreitungen als hohes Harmoniebedürfnis bezeichnet.

Vermeidende Bindung und Grenzen

Im Gegensatz zum desorganisierten Bindungsstil, der eine niedrige Schwelle für das tatsächliche Eindringen in seinen physischen Raum hat bzw. zu ängstlichen Bindungstypen, die dem gegenüber relativ ambivalent ist, haben vermeidende Bindungstypen eher das Gefühl, dass ihr Partner aufdringlich ist. Das muss übrigens nicht mal unbedingt der Fall sein.

Personen mit vermeidender Bindung reagieren sehr empfindlich auf die Verletzung ihrer Grenzen und neigen daher dazu, sich sowohl körperlich als auch emotional von ihrem Partner zu distanzieren.

Interessanterweise ist die Wahrscheinlichkeit, dass vermeidende Bindungstypen auf Grenzverletzungen wütend reagieren, geringer als bei Menschen mit anderen unsicheren Bindungsstilen. Das hat wahrscheinlich mit ihrer Grundtendenz zu tun, sich emotional abzuschotten.

Wenn ein vermeidender Bindungstyp die Grenzen eines Partners überschreitet, geschieht dies in der Regel aus Sorge um das Wohlergehen des Partners und nicht, um die eigenen Unsicherheiten zu beseitigen.

Vier wichtige Schritte zum Umgang mit Grenzen

Menschen, die Probleme damit haben, in engen Beziehungen Grenzen zu setzen und aufrechtzuerhalten, haben häufig mit Problemen wie Angst und Depression, geringem Selbstwertgefühl, Hilflosigkeit zu kämpfen. Sie haben auch oft das Gefühl, nicht ausreichend gewürdigt und unterstützt zu werden.

Es liegt also auf der Hand, dass fehlende Grenzen die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen stark beeinträchtigen.

Ich persönlich habe viel zu spät den richtigen Umgang mit Grenzen gelernt und kann nur jedem, der damit ein Problem hat, dringend dazu raten, sich mit seinen Grenzen zu beschäftigen, denn es tut extrem gut für sich einzustehen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung sind die folgenden vier Punkte.

Erkenne deinen eigenen Grenzen

Du solltest deine eigenen Grenzen kennen, sowohl körperlich als auch emotional. Nur so kannst du herausfinden, was du in einer Beziehung brauchst und das auch deinem Partner mitteilen.

Beschäftige dich mal mit deinen bisherigen Beziehungsmustern und dem, was in deinen Beziehungen funktioniert hat und was nicht. So lernst du verstehen, was die Beziehung verbessert hätte und wo deine Grenzen überschritten wurden bzw. du Grenzen überschritten hast.

Finden deinen Bindungsstil heraus

Wenn du deinen Bindungsstil kennst, wird es viel leichter zu erkennen, welche Art von Grenzen du brauchst. Als jemand mit ängstlicher Bindung wirst du z.B. mehr Nähe als ein vermeidender Binder brauchen. Auch wenn die Bindungsstile nicht als absolut zu betrachten sind, können sie wichtige Anhaltspunkte in Bezug auf Grenzen und Bedürfnisse geben.

Sei ehrlich, was deine Grenzen und Erwartungen betrifft

Dieser Schritt kann extrem schwierig sein, vor allem bei einem geliebten Menschen. Gerade jemandem, dem wir so viel von uns geben möchten, Grenzen aufzuzeigen ist schwierig.

Ehrlichkeit und offene Kommunikation sind hier absolut notwendig, um Grenzen zu setzen, und können es viel einfacher machen, diese Grenzen bei Bedarf durchzusetzen.

Du musst da nicht alleine durch

Auch wenn du das Gefühl haben solltest, dass sich dein Bedürfnis nach Freiraum oder Nähe stark von dem deines Partners unterscheidet, kann es sein, dass er ebenfalls seine eigenen Bedürfnisse hat und nicht genau weiß, wie er sie ausdrücken soll.

Ein offenes Gespräch wird euch beide auf dem Weg zu einer gesünderen, ausgeglicheneren Beziehung voranbringen.

Fazit

Besonders für Menschen mit unsicherem Bindungsstil kann das Thema Grenzen innerhalb der Beziehung schwierig sein. Der eigene Bindungsstil und der des Partners können, Aufschluss darüber geben, welche Bedürfnisse nach emotionalen und körperlichen Grenzen wir haben und wie wir auf Grenzüberschreitungen reagieren.

Wissen, Ehrlichkeit, Geduld und Achtsamkeit für sich selbst und den Partner können dabei helfen gesunde Grenzen zu setzen und eine befriedigendere Beziehung aufzubauen.