Die schwierigste Form der unsicheren Bindung ist der desorganisierte Bindungsstil. Er tritt häufig bei Menschen auf, die in ihrer Kindheit körperlich, verbal oder sexuell missbraucht wurden.
Ein desorganisierter oder auch ängstlich-vermeidender Bindungsstil entwickelt sich, wenn die Bezugspersonen des Kindes zum Ursprung von Ängsten werden, statt dem Kind die nötige Sicherheit zu geben.
Im Erwachsenenalter sind Menschen mit diesem Bindungsstil extrem inkonsequent in ihrem Verhalten und haben Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen.
Solche Menschen können auch unter anderen psychischen Problemen wie Drogenmissbrauch, Depressionen oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden.
Dieser Bindungsstil kann mit einer angemessenen Behandlung geändert werden, auch wenn der Prozess extrem schwierig sein kann.
- Wie bildet sich die Bindung in der frühen Kindheit?
- Wie entwickeln Kinder unsichere Bindungsstile?
- Was sind die spezifischen Ursachen für eine desorganisierte Bindung bei Kindern?
- Wie reagieren Kinder mit desorganisierter Bindung auf ihre Bezugspersonen?
- Wie sind die Beziehungen zu desorganisierten Erwachsenen?
- Kann man einen desorganisierten Bindungsstil ändern?
- Wie kann man eine desorganisierte Bindung heilen?
Wie die Bindung in der frühen Kindheit geprägt wird
Sobald ein Baby geboren ist, beginnt es, eine Bindung zu seinen primären Bezugspersonen, in der Regel den Eltern aufzubauen. In den ersten Jahren ist das Kind vollständig von ihnen abhängig.
Die Bezugspersonen wiederum sind für die primären physiologischen (Nahrung, Unterkunft usw.) und emotionalen (Beruhigung, Liebe, Fürsorge usw.) Bedürfnisse des Kindes verantwortlich. Wenn sie sensibel auf diese Bedürfnisse eingehen, baut das Kind eine sichere Bindung zu den Bezugspersonen auf, deren Anwesenheit Sicherheit bedeutet.
Das Kind lernt indirekt, dass es sich auf andere Menschen verlassen und ihnen somit vertrauen kann. Eine sichere und stabile Bindung entsteht.
In manchen Fällen hat das Kind jedoch das Gefühl, dass seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden oder dass die Bezugspersonen emotional nicht verfügbar oder ansprechbar sind, wenn das Kind ihre Aufmerksamkeit, Zuneigung oder Unterstützung sucht. In solchen Fällen ist das Kind nicht in der Lage, eine sichere Bindung aufzubauen.
Das Problem bei unsicherer Bindung in der Kindheit ist, dass man sie oft nicht hinter sich lassen kann. Sie verschwindet nicht einfach mit der Zeit, wenn man erwachsen wird.
Frühe Bindungserfahrungen prägen den Bindungsstil. Die Art und Weise, wie wir unsere ersten sozialen Bindungen mit Bezugspersonen erleben, wird also bestimmen, wie wir Beziehungen in der Zukunft sehen und uns in ihnen verhalten.
Basierend auf aktueller Forschung spricht man bei Erwachsenen von den vier folgenden Bindungstypen:
- Ängstlich (auch bekannt als besorgt)
- Vermeidend (auch bekannt als abweisend)
- Desorganisiert (auch bekannt als ängstlich-vermeidend)
- Sicher
Wie entwickeln sich unsichere Bindungsstile in der frühen Kindheit?
Unsichere Bindungsstile entwickeln sich in der Regel als Reaktion auf eine unangepasste Erziehung und als eine Form der Anpassung.
Ängstlicher Bindungsstil
Wenn ein Kind zum Beispiel die Eltern als unberechenbar oder vernachlässigend empfindet, kann es übermäßig anhänglich und bedürftig werden. Mit anderen Worten, dem Kind fehlt es an Aufmerksamkeit und es beginnt, sich mehr anzustrengen, um sie zu bekommen.
Später im Leben stellt dieses Kind (jetzt ein Teenager oder Erwachsener) weiterhin infrage, ob es gut genug, liebenswert oder würdig ist.
Solche Menschen können ein geringes Selbstwertgefühl entwickeln und brauchen die ständige Bestätigung durch ihren Partner. Dies wird als ängstlicher Bindungsstil bezeichnet, der durch eine starke Angst vor Verlassenheit und Ablehnung gekennzeichnet ist.
Vermeidender Bindungsstil
Wenn das Kind merkt, dass seine emotionalen Bedürfnisse von den Eltern zurückgewiesen werden, erwartet es keine Reaktion mehr von seinen Eltern. So lernt das Kind, dass es seine Gefühle nicht offen äußern oder um Unterstützung bitten sollte.
Mit der Zeit werden solche Kinder autark und unabhängig. Andere Menschen werden ihre Gefühle ohnehin ablehnen, warum also versuchen, sie auszudrücken? Dies ist die „Strategie“ hinter dem vermeidenden Bindungsstil.
Der vermeidende Bindungsstil lässt sich ebenfalls sehr gut daran erkennen, dass diese Menschen mit Flucht und Ablehnung auf emotionale Nähe und tiefe Beziehungen reagieren.
Desorganisierter Bindungsstil
Wir sehen, dass in jedem der beiden oben beschriebenen Bindungsstile eine gewisse Kontinuität bzw. bestimmte Muster zu erkennen sind.
Der desorganisierte, also ängstlich-vermeidende Bindungsstil unterscheidet sich dadurch, dass er durch die Einflüsse beider Bindungsstile unberechenbar und teilweise ambivalent wird.
Die meisten Bindungsexperten sind der Meinung, dass der desorganisierte Bindungsstil der am schwierigsten zu behandelnde der drei unsicheren Bindungsstile ist, weil er sowohl den ängstlichen als auch den vermeidenden Stil beinhaltet.
Was sind die Ursachen einer desorganisierten Bindung bei Kindern?
Es wird angenommen, dass der desorganisierte Bindungsstil eine Folge von Traumata oder Missbrauch in der Kindheit ist. Wahrgenommene Angst ist der ausschlaggebende Punkt bei der Entwicklung dieses Stils.
Das Überleben des Säuglings bzw. Kindes hängt von den Bezugspersonen ab. Das Kind weiß das unbewusst und sucht daher Sicherheit bei den Bezugspersonen. Ein Problem entsteht, wenn die Quelle der Sicherheit zu einer Quelle der Angst wird. Das Kind weiß nie, was es erwarten kann. Das Kind weiß auch nicht, wann die Bezugsperson seine Bedürfnisse erfüllen wird oder, ob sie überhaupt erfüllt werden.
Ein weiterer Grund für die Angst ist ein traumatisches Erlebnis, das die Bezugsperson betrifft, oder das Erleben eines solchen Erlebnisses. Zum Beispiel missbraucht die Betreuungsperson das Kind (verbal, körperlich oder sexuell) oder das Kind wird Zeuge, wie die Betreuungsperson eine andere Person missbraucht.
In jedem Fall hat das Kind kein Vertrauen mehr in die Betreuungsperson. Das Kind merkt, dass es sich nicht darauf verlassen kann, dass die primäre Bezugsperson seine körperlichen oder emotionalen Bedürfnisse erfüllen wird. Die Betreuungspersonen, die eigentlich eine Quelle der Sicherheit sein sollten, sind nicht nur unzuverlässig, sondern lösen auch Angst aus.
Kinder mit einem desorganisierten Bindungsstil sind nicht in der Lage, sich wirklich an das Verhalten der Bezugspersonen anzupassen, da sie nie wissen, was als Nächstes kommt. Sie suchen vielleicht Nähe, lehnen aber gleichzeitig die Nähe der Bezugspersonen ab und distanzieren sich aus Angst.
Wie sehen die Beziehungen zu desorganisierten Erwachsenen aus?
Erwachsenen mit einem desorganisierten Bindungsstil fehlt es in Beziehungen an einem konsequenten Ansatz. Einerseits wollen sie dazugehören. Sie wollen lieben und geliebt werden.
Auf der anderen Seite haben sie Angst, jemanden an sich heranzulassen. Sie haben große Angst, dass die Menschen, die ihnen am nächsten stehen, sie verletzen könnten.
Erwachsene mit einem desorganisierten Bindungsstil fürchten Intimität und vermeiden Nähe, ähnlich wie Personen mit einem vermeidenden Bindungsstil. Der Hauptunterschied bei desorganisierten Erwachsenen besteht darin, dass sie Beziehungen eigentlich wollen.
Diese Erwachsenen erwarten und warten darauf, dass Ablehnung, Enttäuschung und Schmerz kommen. In ihrer Wahrnehmung ist das unvermeidlich. Sie lehnen emotionale Intimität nicht ab, sondern haben einfach Angst davor. Erwachsene mit einem desorganisierten Bindungsstil sehen die Bindungsperson (früher ihre Bezugsperson und jetzt ihren Partner) weiterhin als unberechenbar an.
Es fällt ihnen schwer zu glauben, dass ihr Partner sie so lieben und unterstützen wird, wie sie sind. Diese Erwachsenen erwarten und warten darauf, dass sie zurückgewiesen, enttäuscht und verletzt werden. In ihrer Wahrnehmung ist dies unvermeidlich.
Diese Denkweise kann zu einer Form der Selbstsabotage führen, die den desorganisierten Erwachsenen veranlasst, eine Beziehung vorzeitig zu beenden.
Es kann sich auch um eine Art selbsterfüllende Prophezeiung handeln. Der desorganisierte Erwachsene erwartet und sagt voraus, dass er von seinem Partner abgelehnt werden wird. Selbst wenn es keine solchen Anzeichen gibt, beginnt er oder sie sich so zu verhalten, dass die Erwartungen erfüllt werden und die Beziehung endet.
Es ist auch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, wenn eine Person mit einem desorganisierten Bindungsstil einen Partner wählt, der Angst auslöst. Dadurch wird ihre Wahrnehmung bestätigt, dass sie anderen Menschen (emotional oder körperlich) nicht vertrauen können, egal was passiert.
Desorganisierte Erwachsene neigen dazu, sowohl sich selbst als auch andere negativ zu sehen.
Sie haben ein höheres Risiko, psychische Probleme zu entwickeln, wie z. B. Drogenmissbrauch, straffälliges und aggressives Verhalten. Die Forschung zeigt auch einen häufigen Zusammenhang zwischen desorganisiertem Bindungsstil bei Erwachsenen und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Kann man einen desorganisierten Bindungsstil ändern?
Das Leben mit einem desorganisierten Bindungsstil ist sicherlich nicht einfach. Stellen dir mal vor, du spielst ein Spiel, hast die Regeln aber im Grunde nie richtig verstanden. Du willst zwar mit anderen spielen, aber niemand hat dir je beigebracht, wie es geht. Wenn du an der Reihe bist, machst du deinen Zug, aber du weißt nicht, ob es richtig war oder was dich zu erwarten hat. Du verlierst ständig und weißt nicht mal, warum das so ist.
Aber auch für Menschen mit einem ängstlich-vermeidenden Bindungsstil gibt es Wege zu heilen. Und es ist wichtig, diesen Dingen auf den Grund zu gehen. Es ist wichtig für dich selbst, für deine Familie und Freunde und schließlich auch für deine Kinder. Wenn du als Elternteil ein ungelöstes Trauma oder einen Verlust erlitten hast, wirst wahrscheinlich ein Kind mit einem desorganisierten Bindungsstil aufziehen.
Ein desorganisierter Bindungsstil kann viel Leid und Verwirrung verursachen, wenn es um soziale Interaktionen und Intimität geht. Er wird deinen Beziehungen schaden und dazu führen, dass du immer wieder Menschen verlieren wirst, die du eigentlich in deinem Leben haben möchtest.
Es ist auch schwierig, mit jemandem zusammen zu sein, der diesen Bindungsstil hat. Die Unberechenbarkeit, das Misstrauen und das fehlende Vertrauen dieser Person können verletzend und beängstigend sein.
Wie kann ein desorganisierter Bindungsstil bei Erwachsenen geheilt werden?
Eines der Hauptprobleme von Menschen mit diesem Bindungsstil ist die Angst, dass jemand, dem sie vertrauen, ihnen wehtut. Die einfachste Lösung? Vertrauen Sie niemandem. Das Problem ist, dass dieses Verhalten nie zu einer Lösung des Problems führen wird.
Die bloße Vermeidung von Nähe wird das Trauma oder die schmerzhaften Kindheitserfahrungen nicht heilen. Um zu lernen, sichere Beziehungen aufzubauen, muss man zuerst lernen, Menschen zu vertrauen.
Das hört sich einfach an, aber für Erwachsene mit einem desorganisierten Bindungsstil kann das eine ziemliche Herausforderung sein. Aus diesem Grund ist es vielleicht am besten, es langsam anzugehen und sich nicht zu überfordern.
Eine Möglichkeit, mit der Heilung zu beginnen, ist die Zusammenarbeit mit einem Psychotherapeuten. Ein Therapeut ist jemand, dem du vertrauen kannst, denn er oder sie bietet dir einen Raum, in dem du dich vorurteilsfrei, akzeptierend, ruhig und berechenbar öffnen kannst.
Eine andere Möglichkeit, die du in Betracht ziehen kannst, ist der Versuch, dich selbst zu heilen. Bereits die Erkenntnis, dass dein Bindungsstil eventuell der Grund für immer wiederkehrende Muster ist, bildet den ersten Schritt auf dem Weg zur Heilung.